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Ist Mülsen 1000 Jahre alt?

Die Bezeichnung "Mülsen" ist wendischen Ursprungs. Nach dem Zerfall des thüringischen Reiches um 530/31 mögen die von Osten vordringenden Sorben oder Wenden rasch durch das wenig besiedelte sächs. Niederland bis zur Saale vorgedrungen sein, wo ihnen die kriegerischen Franken mit dem Schwerte Halt boten. Zahlreiche Burgen an der Saale zwischen Halle und Magdeburg, wie sie bis weit nach Thüringen hinein wehrten dem Andrange. Karl des Großen gleichnamiger Sohn Karl drang um 805 mit einem Heer durch "Demelchion" (d.i. Land der Daleminzier), das etwa bis an unsere engere Heimat im Süden reichte. Über das Gebirge Fergunna zog Karl nach Böhmen, sich dort mit 2 weiteren Heeren vereinigend. Der wendische Herrscher "Semela" wurde besiegt und zinspflichtig, doch bald erhoben sich die Sorbenwenden in blutigen Aufständen, die 839 zur Gründung der thüringischen Mark als "limes Sorabia" (Sorbengrenze) führten. Die Sorbenkämpfe gingen weiter, bis ihnen endlich durch Heinrich I., mit dem Beinamen der "Finkler" (d.i. Vogelsteller), ein Ziel setzte, der von 922 an die sorbischen Stämme niederwarf, deren Hauptfestung "Gonna" (Jahna bei Lommatzsch) eroberte und Stadt und Markgrafenschaft Meißen gründete. Zur Erhaltung und Verteidigung des neugewonnenen Landes legte er feste Plätze, insbesondere Burgen an. Diese Burgwarten in unserem Heimatgebiet mögen Schweinsburg (bei Crimmitzschau), Wiesenburg, Schönfels (?), Stein, Wildenfels, Waldenburg und Wolkenburg gewesen sein. All diese Burgen werden zwar urkundlich sämtlich später erwähnt, z.B. Stein und Wildenfels 1222, Wiesenburg 1251 usw., obwohl sie zur Zeit Heinrichs entstanden sind. Das frühe Mittelalter ist äußerst arm an schriftlichen Urkunden. Die Burgenreihe Stein - Wiesenburg - wahrscheinlich auch Zwickau - bis Waldenburg und Wolkenburg, war hauptsächlich eine Verteidigungslinie gegen Osten. Sie hatte nur Sinn, wenn man annimmt, saß östlich Sorben wohnten, also unsere Heimat in jener Zeit besiedelt war. Diese wendische Besiedelung muss aber viel früher als die Anlegung der deutschen Burgen erfolgt sein, denn sie zog ja deren Errichtung erst nach sich. Die Besiedlung der Zwickauer Pflege wird bereits gegen 700 angenommen. Das bedeutet also ein Alter unserer Heimatorte von weit über 1000 Jahren. Daran ändert der Umstand nichts, daß Mülsen erst um 1118 urkundliche Erwähnung findet, da es anlässlich der Stiftung der Marienkirche als zu deren Sprengel zugehörig bezeichnet wird. Nun muss aber auf eine wenig beachtete Tatsache hingewiesen werden. Der wendische Namen Mülsen braucht noch keineswegs Sicherheit dafür zu bieten, daß Mülsen eine sorbisch-wendische Gründung ist. Die Sorben pflegten ihre Ortschaften die Form eines Rundlings, während die deutschen Siedlungen durchweg als Reihendörfer angelegt wurden. Die Orte des Mülsengrundes scheinen aber durchweg Reihendörfer zu sein, soweit man sie überhaupt - auch in älterer Zeit - in ihrer Form betrachtet. Damit würde am Ende doch eine jüngere Besiedlungszeit möglich sein, wenn man annehmen will, daß Mülsen (urkundlich milzina) nur eine von den Sorben übernommene Bezeichnung sei. Man muss sich diese Möglichkeit schon deshalb vor Augen halten, weil die Masse der Bevölkerung bis ins 14. Jahrhundert hinein noch die alte sorbischwendische Sprache gebrauchte und die deutschen Ansiedler und Burgbewohner nur untereinander wohl eigene Sprache anwandte. Erst im Jahre 1327 wurde der Bevölkerung der Gebrauch der wendischen Sprache von den Gerichten in Altenburg, Leipzig und Zwickau verboten, im Meißnischen Gebiete gar erst 1424! Aber selbst wenn man diesem Gedankengang folgt, muß man die Besiedlung des Mülsengrundes als sehr frühzeitig erfolgt ansehen. Man wird nicht fehl gehen, sie in die Zeit Heinrichs des Finklers zu verlegen, als dieser deutsche Kolonisten in die Muldengegend führte. Die Erbauung der Burg Waldenburg (die Prof. Steche als ältesten formierten Bau im Lande bezeichnet) wird um das Jahr 928/29 angenommen.

Die Besiedlung Mülsens bzw. des Mülsengrundes dürfte zu gleicher Zeit erfolgt sein. Der uralte Name von Thurm deutet ja ebenso wie die Art der Anlegung der Mülsengrunddörfer auf deutschen Ursprung hin. Auch Stangendorf ist, ebenso wie Ortmannsdorf (urspr. Ortwinsdorf 1278 erstmalig beurkundet) deutsch. Die Ableitung von St. Annendorf ist irrig, vielmehr ist wohl die Bewaldung (Stangenholz) Ursache des Ortsnamen geworden. Die Meinung, daß Thurm von St. Urban herrühre, ist ebenso irrig, da die Kirche viel später dem Hl. Urban geweiht wurde als der Ort urkundlich Erwähnung findet. Thurm ist zweifellos die Bezeichnung einer alten Befestigung, die sich dort befunden hat, wie auch aus seiner ältesten Schreibform einwandfrei hervorgeht. Wenn wir diese augenfälligen Tatsachen genau betrachten, so scheint die Deutung des Zwickauer Chronisten und Geschichtsforschers Dr. Herzog als durchaus einleuchtend, der die Behauptung aufstellte, daß der Mülsener Grund eine Zwangsansiedelung von Unterworfenen aus dem sorbisch/wendischen Stamme der Milzener sei. So würden sich sowohl der fremde sorbisch-wendische Name Mülsen wie auch die nach deutscher Art erfolgten Anlegung der Mülsendörfer zwanglos erklären. Ob man nun diese Deutung den Vorzug gibt oder sich der Erklärung Hey (milzina = Nebel) oder Knauth (mil is ena = dunkles fließendes Wasser) anschließen mag, eines bleibt sicher: Das höchstwahrscheinliche 1000jährige Alter Mülsens!

Eins möge noch erwähnt sein, das jedenfalls nicht ohne Bedeutung ist: Unsere Gegend gehörte zu dem bereits im Anfange des 10. Jahrhunderts gegründeten Bistum Naumburg in kirchl. Hinsicht. Als nun Otto der Große im Jahre 965 das Bistum Meißen gründete, verblieb unsere Gegend bei dem Naumburger Bistum, dem sie als "Decanatus trans moldam" zugewiesen war. Daraus ist zu schließen, daß sie länger besiedelt und deutsch kultiviert war als die besiedelungsgeschichtlich jüngeren Gebiete, denen Meißen als Mittelpunkt gegeben wurde.  Dass Mülsen fast 100 Jahre früher als die benachbarte Burg Lichtenstein (1212 belehnt Kaiser Friedrich II. den Böhmenkönig Ottokar nebst anderen Besitzungen damit) urkundliche Nennung erfährt, ist vielleicht ein nur zufälliges, aber beachtliches Zeichen für sein hohes Alter. Vielleicht - wir werden es wohl nie endgültig erfahren können - sind sowohl die Besiedelung des Mülsengrundes, die Erbauung Thurms usw. gleichzeitig mit der Erbauung Waldenburgs und der anderen Muldenburgen (Stein, Wiesenburg usw.) wie auch Lichtensteins erfolgt mit der ersten Flutwelle deutscher Einwanderung in unserem Heimatgebiet!